John Tyndall, Alpinist und Pionier der Klimaforschung (2024)

John Tyndall war Alpinist, Forscher und Wissenschaftskommunikator. Die Früchte seines Entdeckergeistes sind noch heute in Medizin, Klimaforschung und Physiologie von Bedeutung. Heuer jährt sich sein Geburtstag zum 200.Mal.

Rudolf E.Lang

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John Tyndall, Alpinist und Pionier der Klimaforschung (1)

Hoch über dem Tal der Rhone, wo sich der Blick auf den Gletscher gleichen Namens und die Viertausender der Berner Alpen öffnet, trifft der Wanderer unverhofft auf einen knapp fünf Meter in den Himmel ragenden Findling mit einem daran angebrachten Liebesbekenntnis: «Raised to her all beloved by Louisa his wife to mark a place of memories» steht dort. Darüber: «John Tyndall. 1820 - 1893».

Erinnerung an einen magischen Moment

Tyndall? Der Name weckt Erinnerungen an eine längst vergangene Physikstunde und den magischen Moment, als ein Tropfen Milch den zunächst für das Auge nicht wahrnehmbaren Weg eines Lichtstrahls durch ein mit Wasser gefülltes Becherglas plötzlich hell aufleuchten liess. Kolloidal gelöste Teilchen – in diesem Fall die fettigen Milchtröpfchen – hatten das Licht quer zu seiner Einfallsrichtung gestreut. Dieses Phänomen ist als «Tyndall-Effekt» in die Lehrbücher eingegangen. Heute lässt es unsere optischen Brandmelder Alarm schlagen, wenn Rauchschwaden den eingebauten Lichtweg kreuzen.

Beim Namenspatron, einem der genialsten Experimentalphysiker der viktorianischen Zeit, standen indes keine Bechergläser auf dem Tisch. Bei seinen Versuchen, den Himmel ins Labor zu holen, arbeitete Tyndall mit meterlangen «Experimentierrohren», die er mit Dämpfen und Gasen füllte, um seinem staunenden Publikum vorzuführen, wie das Weiss der Wolken und das Blau des Himmels entsteht: Lenkte er einen Strahl gebündelten Lichts hindurch, so zeigte sich, dass mit abnehmender Grösse der streuenden Elemente das zunächst als weisslich imponierende Streulicht immer mehr in ein Blau überging, um schliesslich, wenn sich die Partikelgrösse der Wellenlänge des kurzwelligen Lichtes angenähert hatte, in das «leuchtende Azur des italienischen Himmels» umzuschlagen.

Tyndall, dessen Geburtstag sich am 2.August zum 200.Mal jährte, war jedoch weit mehr als nur der Mann, der der Welt die Farben des Himmels erklärt hat. Ganze eineinhalb Jahrhunderte bevor Klima- und Umweltaktivisten auf die Barrikaden stiegen, um vor der Verschmutzung und Erwärmung der Atmosphäre zu warnen, hat er die physikalischen Hintergründe des Treibhauseffektes aufgedeckt. In den eisigen Höhen der Alpen spürte Tyndall dem Werden und Vergehen der Gletscher nach und führte mittels des nach ihm benannten Effektes den Londonern vor, wie schmutzig die Luft in ihren Lungen ist. Ausserdem erforschte er die Ausbreitung von Wellen im Hohlleiter – in Vorwegnahme der Faseroptik, die heute in Medizin, Materialwissenschaften und Kommunikation nicht mehr wegzudenken ist. Und in fortgeschrittenem Alter betätigte er sich auch noch als Mikrobenjäger, indem er ein nach ihm benanntes Verfahren zur Abtötung von Keimen entwickelte.

Ausserdem war Tyndall einer der verwegensten Alpinisten seiner Zeit. Sein Gipfelbuch dürfte auch heute noch so manchem Bergfreund höchsten Respekt abnötigen. Als glänzender Rhetoriker und Erzähler, der seine Forschungsergebnisse mit der gleichen Anschaulichkeit in Worte zu fassen wusste wie seine Abenteuer in den Bergen, war Tyndall ferner einer der Ersten seiner Zunft, die den Elfenbeinturm verliessen, um einem laienhaften Publikum die Wissenschaft von der Natur näherzubringen.

Forscher, Alpinist und Kommunikator

Tyndall war ein Aufsteiger im doppelten Wortsinn. In der irischen Grafschaft Carlow südlich von Dublin in einfachsten Verhältnissen aufgewachsen, ergriff er zunächst den Beruf eines Landvermessers, den er erst in Irland, später in England ausübte. Als er die Stelle wegen Zwistigkeiten verlor, wurde er Mathematiklehrer an einem südenglischen College. Dort bildete er sich mit zähem Fleiss naturwissenschaftlich weiter und führte auch kleinere physikalische Experimente durch.

Die erste Station seiner wissenschaftlichen Karriere liegt indes nicht, wie man meinen sollte, irgendwo im britischen Königreich, sondern im hessischen Bergland. Dank der Fürsprache eines Freundes hatte ihm der Chemiker Robert Bunsen (der geistige Vater des allseits bekannten Brenners) angeboten, an seinem Institut an der Universität Marburg zu forschen und zu promovieren. Die Dissertation, kurioserweise eine mathematische Abhandlung zur Mechanik der Schrauben, war nach zwei Jahren abgeschlossen. Es folgten zwei weitere Jahre des Experimentierens in Marburg und in Berlin, die Tyndall dem Studium des Diamagnetismus widmete – einem damals intensiv erforschten Phänomen.

1851 kehrte Tyndall nach England zurück. Er nahm seinen Beruf als Mathematiklehrer wieder auf, war daneben aber häufig zu Gast an wissenschaftlichen Veranstaltungen. Seine Beiträge zum diamagnetischen Verhalten von Kristallen erregten bald die Aufmerksamkeit der Royal Society. Kurz darauf wurde er in die Royal Institution zu London aufgenommen, einer Einrichtung zur Förderung der angewandten Wissenschaften, die damals unter der Leitung Michael Faradays stand, des Entdeckers der elektromagnetischen Induktion. Zwei Jahre später folgte die Ernennung zum Professor für Natural Philosophy.

Ein Pionier der Klimaforschung

Zu den wichtigsten Arbeiten Tyndalls an der Royal Institution (der er trotz verlockenden Angeboten über drei Jahrzehnte die Treue hielt) zählen seine Untersuchungen zu dem Teil des Sonnenlichtes, «das unsere Sehnerven nicht erregen kann», dem Infrarotbereich. Wiederum unter Verwendung seiner Experimentierröhren begann er, Dämpfe und Gase verschiedensten Ursprungs zu untersuchen hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Wärme zu speichern. Sein besonderes Interesse galt dabei den atmosphärischen Gasen. Der französische Physiker und Mathematiker Joseph Fourier hatte bereits in den 1820er Jahren erkannt, dass die Erde ohne den schützenden Mantel der Atmosphäre erkalten würde, und hatte den Begriff «Treibhauseffekt» geprägt. Tyndall gelang der Nachweis, dass neben Wasserdampf vor allem Kohlendioxid die von der Erde aufsteigende Wärme daran hindert, frei in den Weltraum abzustrahlen. Mit denselben Prinzipien wie denen moderner Infrarotmessgeräte zur CO2-Detektion berechnete Tyndall die thermoabsorptiven Eigenschaften der zu prüfenden Gase: Mittels eines Thermoelementes mass er, welchen Verlust die thermische Strahlung beim Durchgang durch die Röhre erfuhr. Die überdimensionale Länge der Rohre und die damit verbundene hohe Anzahl absorbierender Moleküle waren das Geheimnis der für damalige Verhältnisse spektakulären Empfindlichkeit der Methode. Und so war Tyndall auch der Erste, dem es gelang, den CO2-Anteil in ausgeatmeter Luft zu bestimmen.

Gefragt nach den Beweggründen zu seiner Forschungstätigkeit, hat Tyndall einmal mit dem feinen Verweis auf Volta und Faraday, die Pioniere der Elektrizität, geantwortet. Deren Antrieb sei einzig und allein jener Zauber gewesen, den niemals betretene Gipfel auf Bergsteiger ausübten. Als leidenschaftlicher Alpinist wusste er, wovon er sprach. Die Liste der von ihm (noch im englischen Tweed, mit Nagelschuhen und Alpenstock) bezwungenen Viertausender reicht von der Jungfrau über den Monte Rosa bis hinüber zum Massiv des Mont Blanc. Um die Erstbesteigung des Matterhorns hat er in drei Anläufen verbissen mit Edward Whymper gerungen, der dabei den Sieg davontrug. Tyndall war mit seiner Seilschaft der Dritte, der jemals den Fuss auf den Gipfel setzte. Ein Vorgipfel auf der italienischen Route trägt seitdem seinen Namen.

Wenige Jahre zuvor hatte er zusammen mit zwei einheimischen Führern als Erster den 4500 Meter hohen Gipfel des Walliser Weisshorns erklettert, im Gepäck eine Flasche Champagner, um dort, ganz im Stile der englischen Upperclass, auf den Sieg anzustossen. Thomas Huxley, Professor der Physiologie und glänzender Essayist (und der Grossvater des Verfassers von «Schöne neue Welt»), war es, der Tyndall zu einer Reise in die Schweizer Berge verführt hatte. Anlass war sein Vortrag an der Royal Institution zur Entstehung der Schieferplatten. Die laminierte Struktur des Gletschereises, das in einem ständigen Auf- und Abbau begriffen ist, verdankte nach Huxleys Vermutung möglicherweise dem gleichen Mechanismus ihre Entstehung wie diejenige des Schiefers. In seinem 1860 erschienenen Buch «Die Gletscher der Alpen» , das er seinem Mentor Michael Faraday gewidmet hat, beschreibt Tyndall seine Exkursionen in die Eiswelten der Schweizer und Französischen Alpen, wo er das bewegte Leben der Gletscher studierte.

Neugier und Leidenschaft

Der Findling auf der Belalp ist ein Dokument der leidenschaftlichen Beziehung Tyndalls zu den Walliser Bergen, die ihm über viele Jahre hinweg zur zweiten Heimat geworden waren. Hinter den anrührenden Worten seiner ihn innig liebenden Frau auf dem Stein schimmert allerdings auch die schmerzliche Erinnerung an die Tragödie seines Todes auf: Louisa Charlotte soll bei der Zubereitung der Medikamente für den 73-Jährigen eine verhängnisvolle Verwechslung unterlaufen sein. John Tyndall, der akribische Forscher, wurde das Opfer einer Überdosis Schlafpulver.

Rudolf E.Lang, ordentlicher Professor für Physiologie und Pathophysiologie an der Universität Marburg, lebt seit seiner Emeritierung als freier Autor in München. Er hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher verfasst, unter anderem über die Physiologie des Begehrens, über das Sehen und die Sinne allgemein.

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